Sind 40-60 % Luftfeuchtigkeit durch Lüften wirklich einzuhalten?
BAU-Forum: Bauphysik

Sind 40-60 % Luftfeuchtigkeit durch Lüften wirklich einzuhalten?

Hallo,

meine Frage steht schon in der Überschrift. :-)

Es geht um folgendes Problem. Wir haben in unserer Wohnung konstant ca. 70 % Luftfeuchtigkeit in allen Räumen (laut unserem Messgerät) und damit deutlich über den zur Schimmelvermeidung empfohlenen 40-60 %.

Wir leben zu 5. in einer 85 m²-Wohnung, Baujahr 2006 mit Fußbodenheizung und Lüftungsschlitzen in den Fenstern, Außenwände aus Stahlbeton, Innenwände in Trockenbauweise, Orientierung der Räume nach Westen, Norden, Osten.

Gelüftet wird tagsüber 5x täglich je ca. 5 Min. (Stoßlüftung mit weit geöffneten Fenstern in jedem Zimmer, Querlüftung möglich und wird auch gemacht), in der Wohnung wird keine Wäsche getrocknet, es gibt keine Pflanzen oder Tiere (auch kein Aquarium) in der Wohnung. Nach dem Kochen, Duschen, Öffnen der Wasch- oder Spülmaschine (Waschmaschine, Spülmaschine) wird bei noch geschlossener Zimmertür das Fenster zum Lüften weit geöffnet. Es stehen in jedem Schlafzimmer Entfeuchter auf Granulatbasis (ich weiß, sie wirken keine Wunder, aber auch sie "sammeln" fleißig Feuchtigkeit ein).

Dennoch ist die Luftfeuchtigkeit konstant im Frühling, Herbst, Winter bei 70 % +/- 2-3 %. Sie sinkt zwar beim Lüften wie erwartet deutlich ab  -  im Winter auch auf 35 %, erreicht aber nach etwa 30 Minuten wieder das Ausgangsniveau.

Es wurden bereits 2x über 2 Wochen elektrische Baustellen-Entfeuchter aufgestellt, um evtl. vorhandene Restfeuchtigkeit aus den Wänden zu ziehen, das Problem der hohen Luftfeuchtigkeit wurde dadurch nicht dauerhaft gelöst.

Ich habe mich gründlich mit dem Thema richtiges Lüften (und Heizen) befasst und setze die mir bekannten Maßnahmen um, aber dauerhaft Werte unter 60 % sind bei uns unerreichbar.

Daher stellt sich uns langsam die Frage, ob diese genormten und empfohlenen 40-60 % Luftfeuchte im "Neubau" überhaupt erreichbar sind? Oder sind sie womöglich nur ein Instrument, um evtl. rechtl. Ansprüche mit dem Hinweis auf falsches Nutzerverhalten auszuschalten?

Bin gespannt auf die Antworten der Experten  -  und auch dankbar für weitere Tipps :-)

Gruß,

  • Name:
  • Anna
  1. Das Schimmelpilzkriterium gilt bei einer mittleren Außentemperatur von -5 °C

    Gedacht wird da an ein 5 Tages-Mittel! Wenn also außen dauerhaft -5 °C anliegen und innen dauerhaft 20 °C Raumtemperatur herrschen, dann kann es bei einer rel. LF von innen größer 50 % an Stellen mit einem fRsi-Wert von 0,70 zu Anfeuchtung und Schimmelpilzbefall kommen, weil an diesen Stellen die schimmelpilzkritische Innenoberflächentemperatur unterschritten wird.

    Also dürfen Sie sich heute ganz berühigt ins Sofa fallen lassen. 70-80 % RF sind im Sommer und Herbst total unkritisch (von Sommerkondensat in kalten Kellerräumen mal abgesehen).

    Wenn Sie allerdings auch im Winter dauernd über 50 % liegen, dann ist das zu viel und beweist, dass die Lüftungsvorgänge nicht lang genug oder nicht oft genug durchgeführt werden.

    Frage: Haben Sie denn Schimmelpilzbefall? Oder theoretisieren wir hier nur herum und das Haus ist tatsächlich so gut gedämmt, dass selbst die Wärmebrücken trotz hoher Raumluftfeuchte praktisch schimmelfrei bleiben? Haben Sie also ein echtes Problem  -  oder wollen Sie nur etwas smalltalk über Wohnraumlüftung?

    Soviel kann mal aber schon mal sagen: Ihre Passivlüftung über die Flügelfalzlüfter scheint kaum zu funktionieren, weil Sie vermutlich in einer windschwachen Region in recht windschattiger Lage gebaut haben. Da wäre dann eine ventilatorgestützte Wohnraumlüftung sicher die bessere Wahl gewesen.

  2. Das das Kriterium zur Vermeidung von Schimmelpilzausbildung

    Foto von wiki

    an Wärmebrücken (fRsi ≤ 0.7), unter den genormten Randbedingungen nach DINAbk. 4108-2, nicht erfüllt sein soll halte ich bei einem Bauwerk mit Baujahr. von 2006 für ausgeschlossen.

    Wie bereits erwähnt sind die 40-60 % rel. Luftfeuchtigkeit nicht immer einzuhalten.

    Ein sicheres "Entfeuchten" durch "Querlüftung" ist erst bei Außentemperaturen < 9,3 °C gegeben.

    Das bei Ihnen die freie Lüftung (Querlüftung), hier über "Lüftungsschlitze in den Fenstern", offensichtlich nicht funktioniert, könnte auch daran liegen das:

    a) Der Gesamtquerschnitt aller "Lüftungsschlitze in den Fensterni" nicht angemessen dimensioniert ist,

    und/oder

    b) keine angemessenen Überströmeinrichtungen zwischen den Räumen untereinander vorhanden sind, so wird die "Querlüftung" behindert, dass wird von einigen einschlägigen Experten gerne auch einmal vergessen.

    In diesem Fall sollten Sie die Zimmertüren auf Dauer geöffnet halten, ggf. Überströmeinrichtungen nachrüsten.

  3. Probleme waren vorhanden

    Hallo,

    zunächst schon mal danke für Ihre Antworten.

    Zu Ihrer Frage: Probleme waren vorhanden. Der vom Gericht bestellte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass laut seinen Berechnungen die theor. Mindesttemperatur der Wände 0,1 °C über der nach DINAbk. geforderten liegt und somit theoretisch keine Wärmebrücken vorliegen.

    Die Wohnung wurde im letzten Sommer aufwändig saniert und entsprechend fungizid behandelt (von einer Fachfirma). Im letzten Winter trat trotz der hohen Luftfeuchtigkeit kein Schimmelpilz auf  -  was aber möglicherweise eher den Fungiziden zu verdanken ist?

    Die Lösung muss eine dauerhafte Senkung der zu hohen Luftfeuchtigkeit sein  -  nur wie?

    Dass die Passivlüftung nicht ausreichend funktioniert, ist uns bewusst, daher führen wir ja zusätzliche Stoßlüftungen durch und alle anderen Maßnahmen (s.o.). Wir haben die Raumtemperaturen erhöht (auch in den Schlafzimmern auf konstant 20 °C).

    Und trotzdem gab es genannte Probleme in allen Räumen.

    Warum die Luftfeuchte nicht höher als 50-60 % sein sollte, haben wir verstanden, aber ist dieser Wert auch wirklich erreichbar oder nur eine schöne Theorie?

    Gruß, Anna.

  4. klar geht das

    rel. LF innen ist bei winterlichem Außenklima bei jedem zugigen Altbau dauernd unter 50 %.

    Lassen Sie mal einen Fachmann den IST-Zustand bzgl. DINAbk. 1946-6 checken. Dazu sollte zuerst mal ein Blower-Door-Test (BDT) gemacht werden, um festzustellen, wie dicht die Hülle denn z.Z. ist. Danach kann man dann das vorhandene Lüftungskonzept überprüfen und ggf. nachbessern oder gar umstellen auf ein ventilatorgestütztes System.

  5. Wie Sie selbst praktisch festgestellt haben

    Foto von wiki

    konnten Sie, unter gewissen Umständen, vor allem im Winter, die rel. Luftfeuchtigkeit in den Wohnräumen bis auf 35 % reduzieren, die geforderten Werte sind also nicht nur in der Theorie erreichbar.

    Die kritische raumseitige Außenwandoberflächentemperatur ist ≤ 12,6 °C, die es nicht zu unterschreiten gilt. (Nach DINAbk. bei: Raumluftzustand: 20 °C, 50 % r.F., Außenluftzustand. -5 °C, 80 % r.F.) j Derart geringe raumseitige Außenwandoberflächentemperaturen sind bei Bauwerken der 60'er  -  70'er Jahre, mit U-Werten der Außenwände > 1,39 W/m²K, zu erwarten.

    In Ihrem Fall darf wohl für die Außenwände mit U-Werten < 0,5 W/m²K (EnEVAbk. 2004) gerechnet werden dürfen.

    Unterstellt sei also ein U-Wert von 0,5 W/m²K, somit errechnet sich, nach den einschlägigen Normen, eine raumseitige Außenwandoberflächentemperatur von 17,05 °C, die bei einem Raumluftzustand von 20 °C, 50 % r.F., als unkritisch zu betrachten ist. (fRSI = 0,88 ≥ 0,7)

    Sollte allerdings der Raumluftzustand auf Dauer 20 °C, > 65 % r.F. betragen, so ist mit einer Schimmelpilzausbildung an Wärmebrücken (Außenwandanschluss im Fußboden- und Deckenbereich, Zimmerecken zu den Außenwänden, Fensterlaibungen, usw.) zu rechnen.

    Entscheidend für die Schimmelpilzausbildung ist, unabhängig von irgendeiner Temperatur, dass die raumseitige Außenwandoberflächenfeuchte 80 % r.F. nicht überschreiten darf.

    Ab 80 % r.F. wird bei den meisten Schimmelpilzsporen deren Wachstum besonders gefördert!

    Da das Objekt bereits sachverständig begutachtet wurde ist davon auszugehen, dass ein unzulässiger Feuchteeintrag von außen ausgeschlossen werden kann.

    Sollten Sie auf kostenintensive Prüfungen und Umbaumaßnahmen verzichten wollen, so passen Sie dringend Ihr Lüftungsverhalten den Begebenheiten entsprechend, vor allem in den Wintermonaten, angemessen an.

    Beharren Sie da nicht auf 5 x 5 min. tägliches Querlüften.

  6. Wenn oft eine hohe Luftfeuchtigkeit besteht

    sind die Polstermöbel, Teppichboden etc. auch mit Feuchtigkeit angereichert. Ein kurzes Stoßlüften reduziert zwar die Luftfeuchtigkeit, aber diese Stoffe geben sofort ihre Feuchtigkeit wieder an die Luft ab.

    Ergebnis: Nach kurzer Zeit besteht wieder eine hohe Luftfeuchtigkeit. Da hilft nur erneut lüften bis auch die Möbel etwas Trockener geworden sind.

  7. Grau ist alle Theorie!

    Foto von wiki

    Beschäftigen Sie sich doch einmal mit dem hx-Diagramm nach Mollier.

    Unter:

    stellt Herr Wöckener-Guggisberg einen interessanten "Lüftungsrechner" zur Verfügung.

    Im Anhang habe ich eine Grafik (mit Quellhinweis) vorbereitet, möglicherweise erhalten Sie dazu noch einige erläuternde Hinweise von den ausgewiesenen Experten.

    Anhang:

    • BAU.DE / BAU-Forum: 1. Bild zu Antwort "Grau ist alle Theorie!" auf die Frage "Sind 40-60 % Luftfeuchtigkeit durch Lüften wirklich einzuhalten?" im BAU-Forum "Bauphysik"
    Der Beitragsersteller hat versichert, dass der Anhang selbst erstellt wurde und keine Rechte verletzt.
  8. Mein Tipp an den Fragesteller: Lüften Sie ...

    Foto von wiki

    Mein Tipp an den Fragesteller: Lüften Sie Mein Tipp an den Fragesteller:

    Lüften Sie nach dem Hygrometer! (wg. variablen Feuchtelasten)

    Beginnen Sie mit dem Lüften bei max. 60 % r.F., niemals darüber!

    5 min. pro Lüftungsvorgang erscheinen mir reichlich wenig, da müsste ein Luftwechsel von l = 12/h sichergestellt sein, der ist jedoch in den seltensten fällen gegeben. (u.a. vom Winddruck abhängig)

    Und dann nur 5 mal am Tag? (25 mim. pro Tag!?)

    Versuchen Sie es mit 10 min. pro Lüftungsvorgang (l = 6/h sind wahrscheinlich eher gegeben).

    Für die Anzahl der erforderlichen Lüftungsvorgänge immer das Hygrometer im Auge behalten! (Bei Kälte weniger, bei höheren Temperaturen öfters)

    Viel Erfolg!


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